Wie mein Portrait rund wurde


Viele Jahre versuche ich schon, etwas vom Dasein meiner Familie und meiner Freunde zeichnerisch festzuhalten. Studien und immer mehr Studien betreibe ich, mal mit dem Bleistift, mal mit Farben. Wie sehen die Freunde nur aus? Wie sehe ich mich im Spiegel? Manchmal strahlen meine Augen, ein anderes mal hängen die Mundwinkel etwas tiefer, ich bin heiter oder müde.

Viele, viele Gesichter hat der Mensch. Sie erscheinen mir wie Lesebücher, aber wenn ich daraus etwas abschreiben möchte, dann bleibt plötzlich nur ein ganz kleiner Teil von all diesen Eindrücken, die gleichzeitig auf mich eingewirkt hatten, übrig. Fast ist es, als wäre das Buch in einer Fremdsprache geschrieben.

Einmal versuchte ich, mein Gesicht ohne Spiegel zu malen. Schon besser! Ungefähr so fühle ich mich jedenfalls beim Malen. Rot, blau, gelb ? Naja. Wieviel davon sah aus oder war wie ich? Könnte das Bild nicht ebensogut einen anderen, mir unbekannten Menschen darstellen? Unmöglich ist es, das Wunder Mensch abzubilden. Wir kennen uns nicht. Nun versuchte ich es spielerischer. Ich blickte durch ein Oktoskop auf mein rot-gelb-blaues Portrait. Erstaunlich! Eine Gesichtshälfte mehrfach gespiegelt sah auf einmal aus wie ein neuer Mensch. Wie einer, der früher einmal gelebt haben könnte,oder später einmal leben würde. Gleichzeitig aber auch wie etwas ganz Anderes, aber irgendwie Bekanntes. Wie ein Querschnitt durch eine Blüte z.B. oder wie ein fremdartiges Tier. Es sah auch aus wie ein Muster welches sich wiederholt. ich unternahm neue Versuche. Durch Drehung des Oktoskopes,oder durch Veränderung des Abstands vom Oktoskop zum Bild entstanden neue, rätselhafte Menschenbilder: Gleichzeitig fremde und bekannte Gesichter.

Die so entstandene Serie nannte ich einfach: "selbst" oder "in meiner Wahrnehmung bin ich ein winziges Teilchen eines unfassbaren Ganzen."

1989 Das 1987 entstandene Selbstportrait erfährt durch die Überarbeitung mit fluoriszierender Farbe eine wesentliche Bereicherung. Es ergeben sich ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten. Das Bild wird vielschichtiger. Hinter der bei Tageslicht sichtbaren "Realität" verbergen sich völlig neue Erscheinungsweisen. Nimmt man Schwarzlicht oder betrachtet man das Bild im Dunkeln, so ist jedesmal etwas völlig Anderes darauf zu erkennen.

Mein Portrait, das bei Tageslicht eher eine starke hell-dunkel Wirkung zeigt, überrascht bei Schwarzlicht durch strahlende Farbkraft. Plötzlich erscheinen neue Farben, die vorher überhaupt nicht zu sehen ware: z.B. was vorher gelb war, glüht jetzt in kräftigem rot. und-das alles soll nur dadurch entstehen, dass das schwarzlicht die Moleküle der Farbpigmente auf höhere Energieniveaus hebt. Beim Zurückfallen in den Grundzustand geben diese dann Licht einer anderen, für den Farbstoff typischen Wellenlänge ab, d.h.Licht einer bestimmten Farbe wird für uns sichtbar. Im Dunkeln dagegen sieht man das Eigenleuchten der phosphoriszierenden Farben. Durch meine Arbeit mit diesen Farbpigmenten ist mir die Faszination von Farben und Sehen verstärkt bewußt geworden.